Das im November 2013 in Kraft getretene umstrittene neue Demonstrationsgesetz sorgt weiter für Unmut in Ägypten und treibt die Menschen auf die Straßen. Am Samstag versammelten sich rund 250 meist junge Demonstranten am Opernhaus im Stadtzentrum der ägyptischen Hauptstadt Kairo und zogen zum wenige Kilometer entfernten Sitz des Journalistensyndikats. Säkulare Oppositionsgruppen wie die Revolutionären Sozialisten, die Bewegung des 6. April und die Front des revolutionären Weges, einem Bündnis linksliberaler Organisationen und Bewegungen, hatten zur Teilnahme an der Demonstration unter dem Motto „Die Straße gehört uns, nein zum Demonstrationsgesetz“ aufgerufen. Die Demonstranten forderten Interimspräsident Adli Mansour auf das Gesetz zu annullieren oder zu entschärfen. Kritiker bezeichnen den umstrittenen Text als faktische Kriminalisierung jedweder öffentlicher Demonstration. Das Gesetz sei politisch motiviert, vage formuliert und erlaube dem Innenministerium jegliche unerwünschte Kundgebung oder Demonstration zu verbieten und ihre Teilnehmer strafrechtlich zu verfolgen, meint eine junge Aktivistin vor dem Opernhaus (erschienen in Junge Welt vom 15.4.2014).
Die Demonstranten forderten die Freilassung der auf Grundlage des Gesetzes inhaftierten Aktivisten und skandierten Parolen wie „Nieder mit der Militärherrschaft“. Vor Ort war auch der prominente Blogger und scharfe Gegner von Ägyptens Interimsregierung Alaa Abdel Fattah, der erst im März auf Kaution aus dem Gefängnis entlassen worden war. Abdel Fattah war im November 2013 nach einer Demonstration gegen die umstrittenen Militärtribunale gegen Zivilisten vor Ägyptens Parlament in Kairo verhaftet worden. Nach wie vor ist unklar, wie viele Menschen bisher auf Basis des Gesetzes juristisch belangt worden sind. Ägyptische Oppositionsgruppen gehen von mindestens 1000 Verhaftungen aus seit das Gesetz in Kraft getreten ist.
„Die Menschen in Ägypten erheben wieder ihre Stimme. Wenn die Regierung keine Veränderungen ihrer umstrittenen Agenda ankündigt oder weiter elementare Freiheitsrechte ignoriert, werden wieder vermehrt Menschen auf die Straße gehen“, glaubt der unabhängige Aktivist Mohanad El Sangary. In den vergangenen Wochen gab es bereits mehrere kleinere Proteste gegen das umstrittene Regelwerk. Die Organisatoren der Demonstration vom Wochenende kündigten auf einer Pressekonferenz am Abend an in den nächsten zwei Wochen eine Vielzahl an Protestaktionen gegen das Gesetz initiieren zu wollen. Die Kampagne soll am 26. April in einer Großdemonstration vor dem Präsidentenpalast in Heliopolis im Osten der Hauptstadt gipfeln.
Unterdessen rückt das geplante neue Anti-Terror-Gesetz in den Fokus von Menschenrechtsorganisationen. Die geplante Neufassung der bereits bestehenden Strafgesetzgebung wurde von der Übergangsregierung an Präsident Mansour übergeben, der aufgrund der Abwesenheit eines gewählten Parlaments neben dem Amt des Staatsoberhaupt derzeit auch Gesetzgebungskompetenzen inne hat. Ihm obliegt die finale Entscheidung über das Gesetz. Kritische Stimmen aus den Reihen der säkularen und islamistischen Opposition bezeichnen die Gesetzesnovelle zusammen mit dem Protestgesetz als faktische Wiedereinsetzung des Notstandes.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte in einer Stellungnahme vom Wochenende das Gesetz „zu kassieren oder fundamental zu überarbeiten“. Das überarbeitete Gesetz sieht härtere Strafen für Verbrechen vor, die mit Terrorismus in Verbindung stehen oder diesen „fördern“. Stein des Anstoßes ist jedoch vor allem die Ausweitung der Definition von Terrorismus und deren vage Formulierung. Nach dem neuen Regelwerk können auch Verbrechen als terroristisch eingestuft werden, die keine direkte Gefahr für das Leben anderer darstellen. Das Gesetz erlaube Ägyptens Behörden elementare Freiheitsrechte massiv einzuschränken, heißt es bei Amnesty weiter. Proteste an Universitäten, aber auch Streiks, könnten je nach Auslegung durch die Judikative daher als terroristisch eingeordnet und entsprechend geahndet werden.
© Sofian Philip Naceur 2014