Die Spekulationen in Ägypten über die Ambitionen von Verteidigungsminister und Armeechef Feldmarschall Abdel Fattah El Sisi bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen antreten zu wollen haben ein Ende. In einer TV-Ansprache am Mittwoch Abend verkündete El Sisi offiziell seine Kandidatur für die Wahlen um das höchste Staatsamt. Zuvor hatte der 59 jährige El Sisi seinen Rücktritt vom Amt des Verteidigungsministers beim Obersten Militärrat (SCAF) eingereicht, der El Sisi bereits im Januar grünes Licht gegeben hatte bei den Wahlen anzutreten. Wie gemeinhin erwartet wurde ernannte der SCAF Generalstabschef Sedki Sobhi zu El Sisis Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers. Interimspräsident Adli Mansour beförderte Sobhi zuvor wie allgemein üblich im Land zum Generaloberst. In seiner Rede im Staatsfernsehen betonte El Sisi dies sei das letzte Mal, dass er in Militäruniform auftrete. Angehörigen des Militärs sind politische Ämter per Gesetz verwehrt, El Sisi muss daher die Armee verlassen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Manöver jedoch um Symbolik, schließlich bleibt die Armee der mächtigste politische Akteur im Land und Ägyptens Präsidenten kamen mit Ausnahme des 2013 gestürzten Mohamed Mursi seit 1952 stets aus den Reihen der Armee und fungierten vielmehr als deren verlängerter Arm, mit denen sie naturgemäß weiter enge Bindungen pflegten (erschienen in Junge Welt vom 28.3.2014).
El Sisi verkündete in seiner Rede pathetisch keine traditionelle Wahlkampagne starten zu wollen, sondern vielmehr eine „umfassende Vision für die aufstrebende Nation“ vorlegen zu wollen. Gesundheitsversorgung und Bildung sollten allen Menschen im Land zugänglich gemacht werden. Auch den Mangel an Wohnraum wolle er angehen. In diesem Sinne hatte Ägyptens Armee erst diese Woche ein umfangreiches Abkommen mit dem Baukonzern Arabtec aus den Vereinigten Arabischen Emiraten über den Bau von rund einer Million Wohnungen in den nächsten fünf Jahren abgeschlossen, ein in El Sisis Wahlkampagne integriertes Projekt, dass ihm Unterstützung aus den ärmeren Bevölkerungsschichten sichern soll. Aus der Zivilgesellschaft kam sogleich Kritik an dem Projekt, dessen Durchführbarkeit angezweifelt wird. Frühere Wohnungsbauprojekte dieser Art scheiterten wiederholt und wurden zum Einfallstor für Korruption und staatliche Misswirtschaft.
Während El Sisi die Rekonstruktion des Staates ankündigte und das „Rad der Produktion“ wieder ankurbeln wolle, erlebt das Land seit dem Wochenende erneut eine heftige Streikwelle. Rund 50000 Angestellte der staatlichen Post sind ebenso im Ausstand wie Textilarbeiter und Ärzte und Krankenhausangestellte. Erst am Dienstag waren mindestens fünf Streikführer der Post in Alexandria verhaftet worden. Die Armee und El Sisi hatten seit dem jüngsten Wiederaufflammen von Arbeitsausständen am Nil Streiks wiederholt verurteilt. El Sisi versprach zudem im Kontext der anhaltenden Arbeiterproteste und der politischen Polarisierung am Nil Stabilität schaffen zu wollen. Nach dem umstrittenen Todesurteil gegen 529 angebliche Mitglieder der 2013 entmachteten Muslimbruderschaft in Minya Anfang der Woche kam es am Mittwoch an der Universität von Kairo zu heftigen Protesten von Anhängern der Bruderschaft, die sich stundenlange Straßenschlachten mit de Polizei lieferten. Mindestens ein Demonstrant wurde bei den Ausschreitungen getötet und acht verletzt.
Noch im Januar war mit einem Wahltermin im April gerechnet worden, doch nach jüngeren Angaben von Mansour deutet vieles auf einen Urnengang Ende Juni hin. Unterdessen hat der Prozess gegen Mitglieder der Bruderschaft und El Sisis lang erwartete offizielle Ankündigung seiner Kandidatur die Debatte um das umstrittene neue Wahlgesetz in den Hintergrund gedrängt. Anfang März hatte Mansour das neue Gesetz in seiner legislativen Funktion – es gibt derzeit kein gewähltes Parlament am Nil, Mansour ist Staatspräsident und Legislative in Personalunion – offiziell verabschiedet. Das Regelwerk immunisiert die Entscheidungen der Obersten Wahlkommission, die für die Beaufsichtigung der Präsidentschaftswahlen zuständig ist. Damit können die von der Kommission verkündeten Wahlergebnisse vor keinem Gericht angefochten werden. Der aussichtsreichste Gegenkandidat El Sisis, der staatssozialistische Hamden Sabahi, übte scharfe Kritik an dem Regelwerk und zweifelt an der Integrität und Fairness der bevorstehenden Wahlen. Er forderte Mansour auf den umstrittenen Artikel 7 des Gesetzes zu streichen, in dieser Form verletze er Ägyptens neue Verfassung.
© Sofian Philip Naceur 2014