Das gestern begonnen Gerichtsverfahren gegen Ägyptens gestürzten Ex-Präsidenten Mohamed Mursi vor dem Kairoer Strafgerichtshof ist bereits nach kurzer Zeit unterbrochen und vertagt worden. Der im Juli von der Armee abgesetzte erste demokratisch gewählte Staatspräsident des Landes wurde seit seiner Absetzung an unbekanntem Ort festgehalten und verweigert die Zusammenarbeit mit Ägyptens Justiz. Mursi zweifelt die Legitimität des Verfahrens an und weigerte sich bislang konsequent juristischen Beistand anzunehmen. Der aus den Reihen der islamistischen Muslimbruderschaft stammende Mursi erschien in Zivilkleidung vor dem Richter und nicht wie vom Gericht gefordert in Gefängniskleidung (erschienen in Junge Welt vom 5.11.2013).
Mursi und 14 andere Mitglieder der Muslimbruderschaft sowie des politischen Armes der Organisation, der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), sind angeklagt zu Gewalt aufgerufen zu haben. Konkret geht es bei der Anklage um die regierungskritischen Proteste am Präsidentenpalast gegen den damals noch amtierenden Staatchef und die von ihm und der FJP durchgepeitschte neue Verfassung im Dezember 2012. Bei den tagelagen gewaltsamen Ausschreitungen in Ost-Kairo zwischen Gegnern und Anhängern Mursis und den Sicherheitskräften wurden mindestens zehn Menschen getötet. Die Muslimbrüder hatten zuvor ihre Anhängerschaft aufgerufen für den umstrittenen Verfassungstext auf die Straße zu gehen und sich den verfassungskritischen Protesten entgegenzustellen. Dies wird ihnen nun gerichtlich zur Last gelegt. Die konkrete Anklage der Staatsanwaltschaft lautet „Anstiftung zum Mord“, den Angeklagten droht die Todesstrafe.
Der Prozessauftakt am Montag war mit Spannung erwartet worden, war Mursi doch seit seiner Absetzung im Juli 2013 nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden. Mursi bezeichnete sich in der Sitzung als der „legitime Präsident“ des Landes. Der vorsitzende Richter Ahmed Sabry Youssef, der immer wieder politisch wichtigen Prozessen vorsaß, wie dem Korruptionsprozess gegen Ex-Präsidentschaftskandidat Ahmed Shafiq oder dem Verfahren gegen das Schwergewicht der Bruderschaft Kheirat Al-Shater, vertagte den Prozess nachdem Angeklagte im Saal „Nieder mit der Militärherrschaft“ gerufen hatten. Ursprünglich sollte das Verfahren in Tora in Süd-Kairo stattfinden, wurde aber aus Sicherheitsgründen in die Polizei-Akademie in der Satellitenstadt New Cairo zehn Kilometer vor den Toren der ägyptischen Hauptstadt verlegt.
Die Muslimbrüder hatten erneut zu Protesten gegen Armee und Übergangsregierung aufgerufen. Nachdem die nach wie vor regelmäßig stattfindenden Demonstrationen der Bruderschaft zuletzt an Dynamik verloren hatten, wurde gestern erstmals wieder mit größeren Protesten gerechnet. In New Cairo versammelten sich dennoch nur wenige hundert Menschen, während aus Alexandria von Ausschreitungen zwischen Anhängern Musis und der Polizei berichtet wurde.
Die Muslimbruderschaft bezeichnete das Verfahren gegen Musi als „Farce“, der Prozess sei von „Putschisten“ initiiert worden und nicht legitim. Das ägyptische Internetportal Mada Masr nannte die Verhandlung einen politisch motivierten „Schauprozess“. Angesichts der aktuellen Debatten am Nil um die neue Verfassung des Landes, die derzeit von der durch die Regierung ernannte verfassungsgebende Versammlung entworfen wird, ist die Anklage höchst interessant, nährt sie doch Spekulationen darüber, warum Mursi grade jetzt im Kontext der Proteste gegen die unter seiner Amtszeit verabschiedete umstrittene islamistisch geprägte Verfassung von 2012 angeklagt wird.
© Sofian Philip Naceur 2013