Ägypten ist das einzige Land weltweit, dass mit dem 6. Oktober als nationalem Feiertag den Beginn eines Krieges feiert. Sechs Jahre nach der verheerenden Niederlage der arabischen Staaten im Sechs-Tage-Krieg gegen Israel 1967 lancierten syrische und ägyptische Truppen am jüdischen Feiertag Yom Kippur einen Überraschungsangriff auf den Erzfeind. Israels Stellungen auf dem damals noch besetzten Sinai wurden schnell von Ägyptens Armee überrannt, doch der Gegenangriff israelischer Truppen schlug die Angreifer vernichtend zurück und israelische Panzer nahmen Kurs auf Kairo (erschienen in Junge Welt am 7.10.2013).
Das Datum nimmt einen wichtigen Platz ein im Selbstverständnis der ägyptischen Armee als Bollwerk gegen Feinde der „Nation“ und wird in Ägypten trotz der faktischen militärischen Niederlage 1973 als politischer und militärischer Sieg verkauft. In Nasr City im Osten Kairos, wo das Verteidigungsministerium und mehrere Kasernen beheimatet sind, finden sich Dutzende martialische und die Armee rühmende Großplakate, die den Krieg heroisch bebildern. Das Kriegs-Panorama, ein Museum und beliebtes Ausflugsziel in Ost-Kairos, bietet nicht nur unzählige Bilder und Filme, die mutig vorwärts stürmende ägyptische Soldaten zeigen, sondern erklärt auch den Verlauf des Krieges aus ägyptischer Sicht – oder besser gesagt aus Sicht des ägyptischen Militärs. Vor dem Gebäude sind gekaperte israelische Panzer ausgestellt.
Der 6. Oktober wird vor allem in Ägypten ausgiebig gefeiert und angesichts der derzeitigen politischen Turbulenzen am Nil nutzten Armee und Übergangsregierung diese Gelegenheit, um die Muslimbrüder zu dämonisieren und sich selbst zu heroisieren. Kairos Innenstadt wurde herausgeputzt und mit Ägyptens Nationalfahnen geschmückt. Der Sprecher der Tamarud-Bewegung, die die Unterschriftenkampagne gegen Ex-Präsidenten Mohamed Mursi initiiert hatte, Hassen Shahin rief die Bevölkerung auf am Tahrir-Platz in Kairo und am Präsidentenpalast an den Feierlichkeiten teilzunehmen und sich den Solidaritätskundgebungen für Ägyptens Armee anzuschließen. Der Oktober-Krieg hätte den „Zionistischen Feind“ abgewehrt. Zudem verglich er den „Terror“ Israels mit dem „Terror“ der Muslimbrüder im heutigen Ägypten.
„Jeder der gegen die Oktober-Feierlichkeiten Stellung bezieht steht außerhalb des ägyptischen Nationalismus und wird als zionistischer Feind betrachtet“, sagte Shahin am Samstag auf einer Pressekonferenz. Das Innenministerium teilte mit es werde auf „jede Form des Gesetzesbruchs oder Gewalt von Unterstützern der Muslimbrüder während ihrer Proteste“ mit Härte reagieren. Denn auch die „Anti-Putsch“- und „Pro-Demokratie“-Koalition unter Führung der Muslimbrüder rief für Sonntag zu Protestmärschen in Richtung Tahrir-Platz auf. Gewaltsame Zusammenstöße sind vorprogrammiert. Noch am Freitag kam es landesweit zu Großprotesten der Muslimbrüder gegen die Absetzung Mursis durch die Armee. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in Kairo starben mindestens vier Menschen.
© Sofian Philip Naceur 2013