Tunesien hat einen neuen Präsidenten. In der Stichwahl vom vergangenen Sonntag setzte sich der Chef der anti-islamistischen wirtschaftsliberalen Partei Nidaa Tounes (Ruf Tunesiens) Béji Caïd Al-Sebsi mit rund 55,7 Prozent der Stimmen gegen den seit 2011 amtierenden Übergangspräsidenten Moncef Marzouki durch, der nur 44,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Schon kurz nach Schließung der Wahllokale hatte Al-Sebsi den Sieg für sich beansprucht, während Marzoukis Wahlkampfteam erst nach der Bekanntgabe der offiziellen Teilergebnisse am Montag durch Tunesiens Oberste Wahlkommission die Niederlage eingestand (erschienen in Junge Welt am 24.12.2014).
Auch im ersten Wahlgang im November lag Al-Sebsi mit rund 39 Prozent der Stimmen knapp vor Marzouki, der überraschend 33 Prozent der Stimmen erreichte und sich erst in der zweiten Runde geschlagen geben musste. Offiziellen Angaben zufolge lag die Wahlbeteiligung bei 60,1 Prozent und war damit leicht niedriger als im ersten Wahlgang. Wahlbeobachter und politische Kräfte im Land bescheinigten dem Urnengang fair und transparent abgelaufen zu sein, wenngleich sich Marzoukis Wahlkampfteam über Unregelmäßigkeiten beschwerte. Demnach seien Anhänger Marzoukis vor Wahllokalen vereinzelt eingeschüchtert und beleidigt worden, sagten Mitarbeiter Marzoukis der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. Währenddessen wurde der überwiegend ruhig verlaufene Urnengang nach Bekanntgabe der offiziellen Teilergebnisse am Montag von Ausschreitungen in der Provinz Gabes im Süden Tunesiens überschattet. Demonstranten lieferten sich Zusammenstöße mit Sicherheitskräften, die mehrere Gegner Al-Sebsis verhaften ließen. Schon am Montag hatte sich die Lage wieder beruhigt nachdem zusätzliche Sicherheitskräfte in Gabes stationiert wurden.
Der Süden Tunesiens gilt als Hochburg der gemäßigt islamistischen Partei Ennahda (Wiedergeburt), deren Anhängerschaft bei den Präsidentschaftswahlen mehrheitlich den Sozialdemokraten Marzouki unterstützte. Dessen Partei, der Kongress für die Republik (CPR), war nach den Legislativwahlen 2011 als Juniorpartner in eine von Ennahda geführte Koalitionsregierung eingetreten und pflegt gute Beziehungen zu den Islamisten. Entsprechend scharf hatte Al-Sebsi Marzouki im Wahlkampf für dessen Kooperation mit Ennahda attackiert, während Marzouki seinem Kontrahenten vorwarf der Kandidat des alten 2011 gestürzten Regimes zu sein.
Tunesiens neuer Präsident Al-Sebsi symbolisiert in der Tat die Rückkehr der alten Elite, gilt doch seine Partei Nidaa Tounes als Sammelbecken für ehemalige Funktionäre des 2011 entmachteten Regimes von Exdiktator Ben Ali. Al-Sebsi selber hatte unter Ben Alis Vorgänger Habib Bourguiba mehrere Ministerposten bekleidet und war in den 1990er Jahren kurzweilig Tunesiens Botschafter in Deutschland. Mitte der 1990er Jahre zog er sich aus der ersten Reihe des politischen Geschäfts zurück und kehrte erst nach der Revolution 2011 auf die politische Bühne zurück. Im Februar 2011 wurde Al-Sebsi Premierminister der Übergangsregierung, im Dezember 2011 jedoch durch den Ennahda-Kandidaten Hamadi Jebali ersetzt. Seither intensivierte der 88 jährige Al-Sebsi seine Anstrengungen für ein politisches Comeback und gründete im April 2012 seine Partei Nidaa Tounes, die bei den Parlamentswahlen im Oktober 2014 aus dem Stand stärkste Kraft wurde.
Die Partei bastelt bereits eifrig an einer Koalitionsregierung, dürfte nach Al-Sebsis Wahlsieg jedoch weiteren Rückenwind für die Verhandlungen erhalten. Nach dem jüngsten Wahlerfolg bei der Präsidentschaftswahl kontrolliert Nidaa Tounes zukünftig sowohl den Präsidentenpalast in Karthago, einem Vorort der Hauptstadt Tunis, als auch das Parlament und kann damit auf legislativer und exekutiver Ebene weitgehend ungestört regieren. Damit steht einer partiellen Rückkehr des alten 2011 gestürzten Regimes nichts mehr im Wege.
© Sofian Philip Naceur 2014