Nach Ägyptens Luftschlägen in Libyen

Nach der grausamen Enthauptung von 21 Menschen in Libyen vor fast zwei Wochen durch dem Islamischen Staat (IS) nahe stehende Milizen rückt eine Militärintervention in Libyen wieder näher. Die gezielte Tötung von Christen – 20 der 21 Opfer sind koptische Christen aus Ägypten – soll provozieren, während Ägyptens Vergeltung in Form von Luftangriffen auf Standorte des IS in Libyen die blutigen Machtkämpfe zwischen den beiden rivalisierenden Machtblöcken im Land weiter anheizt. Kairos Luftschläge waren mit der im Westen anerkannten libyschen Regierung in Tobruk abgesprochen. Während das von islamistischen Kräften dominierte Kabinett in Tripolis Ägyptens Angriff scharf verurteilte, präsentiert sich die mit der Regierung in Tobruk verbündete Allianz unter General Khalifa Haftar nach Ägyptens Intervention gestärkt. Nach der Veröffentlichung des Enthauptungsvideos – es ist das erste dieser Art, dass von IS-Zellen außerhalb Syriens und Iraks gedreht wurde – werden schließlich Rufe nach einer Militärintervention und der Aufhebung des Waffenembargos gegen Libyen zugunsten der Haftar-Allianz wieder lauter (erschienen in Die Wochenzeitung am 26.2.2015).

Ägyptens Vergeltungsschläge überraschen unterdessen kaum, wird doch bereits seit August 2014 über ein militärisches Eingreifen der ägyptischen Armee im Nachbarland spekuliert. Der innenpolitisch unter Druck stehende autoritär regierende Staatschef Ägyptens Abdel Fattah Al-Sisi kann sich mit seinem Feldzug gegen die libyschen IS-Ableger im Vorfeld der anstehenden Parlamentswahl in Ägypten profilieren und mit einer entschlossenen Reaktion auf die Ermordung von 20 Kopten die Unterstützung weiter Teile der christlichen Minderheit im Land sowie derjenigen sichern, die für eine harte Linie im Anti-Terror-Kampf eintreten.

Für die Mutterorganisation des IS kommt die Gräueltat in Libyen zur rechten Zeit, kann die Terrormiliz doch damit von ausbleibenden Erfolgen in Syrien und dem Irak ablenken und im Propagandakrieg, der vor allem auf die Rekrutierung neuer Kämpfer abzielt, mit ihrem zunehmenden Einfluss in Nordafrika für sich werben. Neben ihren Ablegern in Libyen verfügt der IS bereits über eine assoziierte Terrorzelle in Algerien und eine weitere auf Ägyptens Sinai-Halbinsel und kann sich nach der öffentlichkeitswirksamen Enthauptung damit schmücken das Terrornetzwerk Al-Qaida in Nordafrika weiter zurückgedrängt zu haben. Während sich der IS-Ableger im Sinai auf den Kampf gegen Ägyptens Armeeapparat konzentriert, ist der Terrormiliz mit der Enthauptung von 21 Christen in Libyen ein Propagandacoup gelungen, schließlich setzt der IS nicht nur auf Entmachtung der alten vom Westen gestützten Eliten der arabischen Staaten, sondern will erklärtermaßen das von IS-Zellen kontrollierte Gebiet religiös säubern und gezielt „ungläubige“ Muslime und Christen töten.

Im Enthauptungsvideo wird der Hass auf Ägyptens Kopten gezielt geschürt, die zuletzt immer wieder Opfer von Entführungen und gewaltsamen Übergriffen radikaler Milizen in Libyen waren. Nach wie vor halten sich hunderttausende ägyptische Arbeitnehmer in Libyen auf, schließlich liegt Ägyptens Wirtschaft weiterhin am Boden und vor allem Kopten aus dem strukturschwachen Oberägypten – allein 13 der 20 ägyptischen Opfer stammen aus Minya – zog es rasch nach dem Sturz von Libyens Diktator Muammar Al-Ghaddafi 2011 zurück ins Nachbarland. Arbeitsplätze am Nil sind knapp und Löhne in Libyen deutlich höher. Während Ägyptens koptische Kirche Al-Sisi nahe steht und der Regierung bescheinigt angemessen auf die Geiselnahme reagiert zu haben, kritisierten auch Angehörige der Opfer nur zögerlich Kairos späte Reaktion in der Angelegenheit.

Al-Sisi weiß die brutale Enthauptung derweil für politische Zwecke zu nutzen, kann er doch die öffentliche Debatte über die anhaltende Talfahrt der Wirtschaft und die Empörung über wiederholte Verfehlungen des Sicherheitsapparates zeitweilig mit Erfolgsmeldungen aus Ägyptens Anti-Terror-Kampf überdecken und sich mit seiner militärischen Antwort auf die Morde als starker Führer inszenieren. Auch erklärte er schon kurz nach dem Sturz des gemäßigt islamistischen Expräsidenten Ägyptens Mohamed Mursi 2013, bei dem Al-Sisi eine Schlüsselrolle spielte, den Kampf gegen radikalislamistische Gruppen im Sinai zur Priorität. Doch bisher war der Anti-Terror-Kampf in der wirtschaftlich jahrzehntelang vernachlässigten Provinz wenig erfolgreich. Attentate finden inzwischen gar vermehrt in Ägyptens Kernland statt und nicht mehr nur auf dem Sinai. Die größte dort operierende Miliz schloss sich im Herbst dem IS an und ist trotz monatelanger Militäroffensiven in der abgelegenen Region immer noch in der Lage der Armee heftig zuzusetzen. Al-Sisi brauchte eine neue Front, um sich weiterhin als Vorkämpfer gegen radikalen Extremismus präsentieren zu können und vor dem Hintergrund wiederholter Übergriffe von aus Libyen operierenden islamistischen Milizen auf ägyptisches Territorium hat Kairo offenbar nur auf einen Grund gewartet in Libyen militärisch zu intervenieren.

Derweil flankiert Ägypten die jüngsten Entwicklungen in Libyen mit außenpolitischen Vorstößen. Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry rief im UN-Sicherheitsrat dazu mit der Regierung in Tobruk zu kooperieren und das Waffenembargo gegen Libyen zu lockern oder aufzuheben. Auch kann Kairo nach den Luftschlägen in Libyen die milliardenschweren Waffengeschäfte mit Frankreich und Russland innenpolitisch legitimieren. Angesichts der Bedrohung aus Libyen mehren sich aus Ägypten, aber auch Italien und Frankreich Stimmen, die ein militärisches Eingreifen fordern, um eine weitere Expansion des IS in Nordafrika zu verhindern.

Doch auf diese Gefahr mit Forderungen nach weiteren Waffenlieferungen zu reagieren ist riskant, stammen die Waffen, die den Krieg in Libyen nach 2011 vielmehr anheizten als beendeten, doch meist aus westlichen Quellen. Nach Ghaddafis Sturz konnten sich Milizen problemlos mit Rüstungsgütern aus dessen Beständen versorgen und durch weitere Lieferungen der Nato an seine Gegner wurde das Land zusätzlich mit Waffen geflutet. Nach dessen Sturz verbreiteten sich diese unkontrolliert in Nordafrika, heizten den Konflikt in Mali an und gerieten in die Hände von Extremisten in Tunesien, Ägypten und Algerien. Rüstungsexporte in das Bürgerkriegsland Libyen erwiesen sich als sicherheitspolitischer Bumerang, ebenso wie die ausufernde und willkürliche Repression von Ägyptens Militärapparat gegen die islamistische Opposition am Nil nach Mursis Sturz, die zahlreiche ägyptische Islamisten nach Libyen fliehen ließ und deren Radikalisierung in Libyen durchaus beförderte. Heute ist die Lage in Libyen derart außer Kontrolle geraten, dass ein militärisches Eingreifen unumgänglich erscheint. Doch viel wichtiger als die Frage, ob ein Eingreifen sinnvoll ist oder nicht, ist ein entschiedenen Nein zu weiteren Waffenlieferungen an in Libyen operierende Milizen, schließlich führt das Beispiel Libyen derzeit eindrucksvoll vor Augen, dass Waffenlieferungen in die Bürgerkriegsstaaten im Nahen Osten die Konflikte nicht beenden halfen, sondern vielmehr weiter schürten.

© Sofian Philip Naceur 2015

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